Die leise Revolution

Die leise Revolution

Übergeordneten Systemen ganz still die Kraft entziehen

Es ist so selbstverständlich geworden, dass es uns kaum noch auffällt, wenn wir beurteilt werden. Einige dieser übergeordneten Systeme wie Schule,  Arbeitsplatz, Politik, Wirschaft oder auch unsere Ängste scheinen über eine Art Superkraft zu verfügen, der wir uns kaum zu entziehen vermögen. Sie vermitteln direkt oder indirekt Bilder und Werte, die uns antreiben oder bremsen können.

Zum Beispiel gibt es diese neue Zahnpasta, die wir für unsere weißen Beißer unbedingt brauchen, sagt uns die Werbung. Und es versteht sich von selbst, dass wir weiße Zähne wollen, denn jede andere Nuance ist unattraktiv. Und jene Situation hier muss uns jetzt wirklich besorgen, sagt die Politik, denn es könnte Auswirkungen haben und niemand mit halbwegs Verstand im Kopf will diese Auswirkungen.

Und wenn wir nicht diese oder jene Leistung bringen, dann sind wir insgesamt nicht gut genug und folglich bald weg vom Fenster, sagen die Lehrkräfte, die Vorgesetzten, die Partner*innen, sagt uns die Angst vor dem Jobverlust.  Und es ist doch klar, dass jeder dazugehören will.

 

Bei solche Aussagen schwingt immer direkt oder indirekt eine Bewertung mit. Wenn du diese Kleidung besitzt, dann bist du besser. Und wenn du unserer Meinung bist, dann gehörst du zu den Guten. Und wenn du härter arbeitest, gehörst du zu den braven oder geliebten Mitarbeiter*innen, Schüler*innen, Partner*innen. Es geht um den Wert oder die Güte eines Menschen, als ließe sich das berechnen. Es wird so getan, als wären wir bewertbar wie Dinge, Objekte.


🎧 Hier die Podcast-Version zum Anhören:


Vom Subjekt zum Objekt

Als Babys und Kleinkinder entdecken wir neugierig die Welt. Wir lernen und entwickeln uns, ohne dass uns jemand dazu beauftragen muss, und erfreuen uns an uns selbst.

Vielleicht würden wir das als Erwachsene immer noch tun, wenn es da nicht im Verlauf unserer Kindheit diese Situationen  gegeben hätte, in der uns jemand verdeutlicht hat, dass wir etwas nicht gut genug gemacht haben, dass wir weniger oder schlechter sind als andere. Eine andere Person hat uns in diesen Momenten wie ein Objekt behandelt, wie ein Ding, das bewertet, beurteilt und bemessen werden kann.

Als Kinder haben wir darauf nicht wirklich viele Reaktionsmöglichkeiten. Die Idee, "schlechter" zu sein als andere ist katastrophal. Sie bedeutet, dass wir nicht dazugehören, zu den anderen, den "guten". Und sie bedeutet auch, dass da jederzeit eine andere Person von außen kommen kann, die das entscheidet. Wir können nun dieser Person die Zunge zeigen und sie ihrerseits als blöd bezeichnen (wodurch wir auch sie zum Objekt machen), oder wir glauben das, was sie sagt (und machen uns selbst zum Objekt). Und schneller, als wir schauen können, begleitet uns die eine oder andere Haltung - oder beide - durchs Leben und wir werden darin richtig gut.

Beruflich erarbeiten sich Menschen, die sehr gut darin werden, andere zum Objekt zu machen, oft eine Karriere im Management oder in der Polititik.  Und jene, die sich selbst zum Objekt machen, stehen so lange zu Diensten, bis der Körper und/ oder die Psyche Alarm schlägt - oder weit darüber hinaus, wenn man die aktuellen Krankenstandsstatistiken anschaut.

Gut und schlecht

Auch abseits des Berufslebens lässt sich beobachten, wie sehr wir uns selbst als Objekte pushen. Aus Sehnsüchten, Träumereien oder Visionen werden Ziele, die wir erreichen müssen. Denn wer sind wir, wenn wir das nicht schaffen? Da gilt es um jeden Preis, diese 3 Kilo abzunehmen, die Reise in den Süden zu finanzieren, das Haus zu bauen, diese Beziehung zu retten, diesen Preis zu gewinnen.

Gelingt es uns, sind wir "gut", und wenn wir es nicht erreichen, sind wir "schlecht". Wir scheinen in diesen Momenten dann zu vergessen, dass wir Menschen sind und keine Dinge, deren Wert sich bemessen und berechnen lässt, deren Wert steigt und fällt mit den äußeren Bedingungen, oder mit den Lebensumständen. Was uns von Gegenständen unterscheidet und gleichsam alle Menschen auf der ganzen Welt eint, ist die wunderbare Lebendigkeit, die in uns pulsiert und die Würde, die in uns wohnt.

Bewusst-SEIN als erster Schritt

So lange wir leben, sind wir nur eine Entscheidung davon entfernt, (wieder) als Subjekte durch die Welt zu gehen. Wir brauchen uns lediglich selbst zu fragen, ob wir uns durch einen Gedanken oder an einer Handlung messen, bewerten oder gar abwerten und verurteilen - und ob wir das auch wollen. Das ist wahrscheinlich recht gut eingeübt und braucht Beharrlichkeit, um es zu lassen. Der Anfang ist aber der erste und wichtigste Schritt: Wir machen uns bewusst, wer wir sind. Nämlich allem voran, fühlende, bedingungslos liebenswürdige Wesen.

Entdecken der eigenen Kraft

Ja, würdig sind wir. Das ist keine Frage des Alters, der Bedingungen, des Status oder der Lebensumstände. Wir sind mit dieser Eigenschaft geboren, wünschen uns einen würdevollen Abgang und könnten auch dazwischen, in jedem Augenblick unseres Lebens, und auf unsere Würde berufen. Wir könnten uns selbst daran erinnern, wenn wir unseren Selbstwert von Erfolg und Leistung abhängig machen und wir könnten es immer dann zum Ausdruck bringen, wenn es uns in den Sinn kommt. VerKÖRPERn könnten wir es sogar, in der Art, wie wir in den Zug einsteigen, die Socken falten, vor dem Computer sitzen, jemanden berühren. Auch AusDEUTSCHEN könnten wir es, indem wir uns selbst und andere darauf hinweisen, dass es niemandem dient, zum Objekt gemacht zu werden, und nach Alternativen fragen. Indem wir uns selbst nicht mehr zum Objekt machen (lassen), indem wir uns unseres Seins bewusst werden, verliert auch ein übergeordnetes System seine Kraft. Dann können uns nämlich Be- und Abwertungen nichts mehr anhaben. Weder unsere eigenen im Kopf, noch die von anderen.

 

Mit einem Lächeln könnten wir uns selbst wieder zum Subjekt machen.  Und wir könnten auch anderen Menschen die Möglichkeit geben, sich als Subjekt zu erfahren. Dazu bräuchte es gar nicht viel. Ein kleines Signal auf der Straße etwa, im Vorbeigehen, wäre schon genug. Gerade so, dass die andere Person erkennt: Wir sind jetzt da, in diesem Moment, auf diesem Gehsteig. Und wir ignorieren uns nicht, wir sehen uns und schenken uns ein Lächeln.

💛

Inspired by: Gerald Hüther, Neurobiologe.

Petra Ouschan ist psychologische Beraterin, Mailcoach und Supervisorin bei Zent.



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Ab Juli 2019

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