Spiel mit dem Gedanken

gedankenRebellion

Über die sonderbaren Auswüchse des sich-Gedanken-Machens. Und wie du wieder Herr*in der Lage werden kannst.

Gedanken-Losigkeit ist machbar, wie die Peacemaker unter uns (Kinder, Schwarzgürtelmeditierende, Erleuchtete) immer wieder zeigen. Normalomensch produziert stattdessen eine Flut an Gedanken. Die Rebellen unter ihnen haben durchaus selbstzerstörerisches Potential. Woran du sie erkennst und wie du die Herrschaft über dein Oberstübchen wieder zurückerlangst, verraten wir dir hier.

Was nicht ist

Hannos Hände sind völlig nassgeschwitzt, die Knie schlottern und der Hals kratzt. Er steht vor dem Mikro und gleich wird er alles geben. Wir wissen nicht, ob er es vor lauter Aufregung verbocken wird, ob ihm die Stimme versagen und ob er überhaupt in der Lage sein wird, zu tun wofür er gekommen ist. Wir haben weder Ahnung, ob er Spott ernten noch, ob es sich für ihn gelohnt haben wird, das alles auf sich zu nehmen, um jetzt hier zu sein.

 

All dies weiß auch Hanno nicht. Er spürt seine Aufregung steht da und freut sich und konzentriert sich und gleich wird er alles geben. Wie auch immer diese Sache vor dem Mikrophon ausgehen wird: Hanno ist ein Meister. Wahrscheinlich könnte ihm nicht mal eine Niederlage den Tag verhauen.

Was oft ist

Anne betrachtet das Foto und stellt sich vor, dass sie es wäre, die vor dem Mikrophon steht. Eine Millisekunde des Vergnügens, dann erinnert sie sich an ihre Versagensängste: Bis ich mich dorthin stellen könnte, um da auch nur irgendetwas zu bieten, bräuchte ich 3 Monate Vorbereitungszeit, 2 Therapiesitzungen, 1 x/ Woche Yoga, mindestens 2 Ratgeber und einen wirklich guten Tag....und wahrscheinlich...nein, nicht einmal dann. Ich musst das endlich mal in den Griff bekommen...ich darf nicht ewig so ein Schisshase sein.

Geburt des Gedankenrebellen

Anne macht sich Gedanken über ihre Angst, zu versagen. Statt auf ihre Lösungen zu fokussieren (mehr dazu weiter unten), knallt sie sich einen Vorwurf rein. Er kommt harmlos verpackt daher in dem, was sie tun muss und dem, was sie nicht darf. 

 

Indem sie diese Art von Gedanken pflegt, erschafft sie in ihrem Oberstübchen einen kleinen Gedankenrebellen. Dieser fackelt nicht lange, sondern schreitet sofort zur Tat: Anschlag auf Annes Selbstwertgefühl - "Man darf kein Schisshase sein" und "Ich muss das endlich mal in den Griff bekommen" - gleich zwei Treffer.


Müssen, sollen, nicht dürfen - Ausbruch der Rebellion

Auf Wörter wie "müssen" oder "sollen" oder "nicht dürfen", reagieren wir. Meist nicht bewusst, denn diese Wörter haben sich fest in unserem Sprachgebrauch verankert. Wenn wir sie aber genauer unter die Lupe nehmen, stoßen wir auf ihr heimtückisches Potential. Warum das so ist und wie wir dagegen vorgehen können, erklärt Thomas in diesem Video:

Wiederholungstäter - ein Lernprozess

Es ist äußerst wahrscheinlich, dass dein Gedankenrebell zum Wiederholungstäter wird, du es zulässt. Dein Gehirn registriert dann, dass es hier mit einer Lernerfahrung optimieren könnte, und macht seinen Job. Es schafft eine Routine.

Anne braucht diese Gedanken dann gar nicht mehr bewusst denken. Die Operation kann im Verborgenen ablaufen, ihr Selbstwertgefühl wird im Repeatmodus bombardiert. Anne hat Versagensangst, weil sie sich (nach den erfolgreichen Anschlägen auf ihr vermutlich ohnehin sehr zerbrechlichem Selbstwertgefühl) nichts mehr zutraut. Und sie traut sich nichts mehr zu, weil sie Versagensangst hat.

Anne ist mit den Auswüchsen ihre sich-Gedanken-Machens in üppiger Gesellschaft:

  • Der Säufer in Antoine de Saint-Exupéries "Kleiner Prinz" wird von einem ähnlichen Schicksal heimgesucht. Er trinkt, um zu vergessen, dass er sich schämt. Und weswegen schämt er sich? Genau, wegen des Trinkens.
  • Ein Mann ist depressiv wegen seines Burnouts (jip, das Burnout aus nicht der Auslöser, sondern der Umstand, dass er eines hat, führt zu einem Brainf*ck, und dieser wiederum, mit entsprechenden Schuldgefühlen angereichert, zu einem hartnäckigen Stimmungsniedergang - in seinem Fall mit Krankheitswert).
  • Eine Tochter fühlt sich schuldig wegen ihres Ärgers auf ihren hilfsbedürtigen Vater.
  • Eine Raucherin hasst sich wegen ihres andauernden Verlangens, trotz heftiger Bronchitis weiterzurauchen.

Gedankenbändigen - ein paar Tools für dich

Auf Lösungen für das eigentliche Problems fokussieren

Während Anne mit der Produktion und Pflege ihrer Gedankenrebellen beschäftigt ist, fehlt ihr die Energie, um an einer Lösung für ihr eigentliches Problem (Versagensangst) zu basteln. Dabei waren ihre Ansätze recht vielversprechend. Allen voran ihre Idee, sich im Geiste vor das Mikrophon zu stellen. Hier dranzubleiben und entsprechend angenehme Gefühle damit zu pflegen (sehr gut erlernbar während eines Hypnosetrainings), ist sehr wirksam. Die Energie darauf verwendet, lässt querschießende Gedanken erst gar nicht aufkommen.

 

Außerdem lagen in ihrem Gedankengeschwader gleich mehrere Strategien, mit denen Sie ihre Versagensängste tatsächlich kontrollieren könnte: Sie formuliert im Geiste ja schon, was sie bräuchte, um sich vor ein Mikro stellen zu können: Vorbereitungszeit, Yoga und professionelle Unterstützung.

Glaubenssätze identifizieren und hinterfragen

Doch anstatt ihre Gedanken als Werkzeug zu benutzen und konkret zu planen, wie sie ihre Ängste mithilfe ihrer Lösungen überwinden kann, lässt sie Glaubenssätze auffahren. Sie muss das in den Griff bekommen und darf kein Schisshase sein. Diese Gedanken sind alles andere als ermutigend. Außerdem stellt sich die Frage, ob das jetzt wirklich wahr ist. Darf man wirklich kein Schisshase sein? Wo steht das? Muss man seine Gefühle immer im Griff haben? Wer behauptet so etwas? Woher weißt du, dass es wirklich wahr ist? Wie würde dein Leben ohne diesen Glaubenssatz aussehen?

Fragwürdige Glaubenssätze lassen sich an den Wörtern müssen/ sollen/ nicht dürfen recht leicht erkennen. Wie du sie verwandelst, hat Thomas  im Video erklärt.

Die Gedanken als Werkzeug benutzen

Wenn es denn nu schon passiert ist und deine Gedanken dich verrückt machen, du dich mit Selbstvorwürfen bombardierst und deine Stimmung in den Keller rutscht, könntest du die Oberhand zurückgewinnen, indem du deine Gedanken lenkst. Beschäftige sie sinnvoll, zum Beispiel durch zielgerichtete Fragen:

Was war das eigentliche Problem, das dich zum darüber-Gedanken-Machen veranlasst hat? In Annes Geschichte ist es ihre Angst zu versagen.

Willst du dieses Problem wirklich lösen? Oder brauchst du es für irgendetwas? Was wäre, wenn du das Problem nicht mehr hättest?

 

Und wenn's nicht funktioniert?

Es kommt nicht selten vor, dass der Karren ziemlich verfahren ist. Im Gedankenbändigen braucht es schon ein wenig Übung, wenn man nicht gerade ein Naturtalent, Kind, Kampfmeditiende oder Erleuchtete ist. Da wollen sich dann die Gedanken so gar nicht lenken lassen, du lenkst dich ab, vielleicht beantwortest du eine Frage im Ansatz und dann geht es wieder mit Wenns und Abers und Selbstvorwürfen los. In so einem Fall kann es sehr hilfreich sein, wenn du dir einen Profi an die Seite holst. Ein Lebensberater oder eine Beraterin unterstützt dich dabei, deine Gedankenrebellen wieder in den Griff zu bekommen (bei Bedarf stehen gern zur Verfügung :-).

Annehmen, was ist

Zurück zum Anfang der Geschichte: Hanno könnte jederzeit entscheiden, das Mikro sein zu lassen und von Dannen zu ziehen, das ist letztlich einfach eine Wahl. Diese kann er hinterher als günstig oder ungünstig einschätzen und künftig gleich wählen oder eben anders. Der Knackpunkt ist, dass er seine Gefühle in diesem Moment nimmt, wie sie sind: Als EIN Teil der Situation.

 

Auch Annes Ängste sind nur EIN Aspekt der Situation, nur EIN Teil von Anne. Ihre Gedanken dazu haben deswegen so viel Einfluss auf ihren Selbstwert, weil sie das übersieht. Sie bläst diesen Anteil in ihr so groß auf, dass sie in ihren Gedanken zum "Schisshasen" wird und das auch noch als völlig inakzeptabel bewertet ("darf nicht sein"). Sie macht sich ihre Angst darüber hinaus zum Vorwurf (als ob ihr die Angst an und für sich nicht schon Problem genug wäre). Ein sinnvoller Anfang wäre, ihre Angst als EINEN Aspekt ihrer Gefühlswelt zu anzuerkennen. Wenn sie es möchte, kann sie dann daran arbeiten.

Schluss - Es ist nur ein Gedanke

Einen kleinen Retter in der Not, sollten deine Gedanken verrückt spielen, möchten wir dir noch verraten (sehr bewährt): Erinnere dich daran, es ist nur ein Gedanke. Du bist Urheber*in aller deiner Gedanken. Und als alleinige Herrscher*in über deine Gedanken steht es dir frei zu entscheiden, wann du welche pflegen möchtest und welche nicht, und ob das überhaupt für dich Sinn macht.

Inspired by: A. Ellis, Steve de Shazer, Byron Katie


 

Petra Ouschan arbeitet bei Zent. Besonders gern unterstützt sie Menschen, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind.

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