the good, the bad, the ugly
oder: Die 2 Wölfe, Teil II
Nikolaus war ein guter Mann, hieß es, und das glauben wir gern. Sein schrecklicher Geselle hingegen, der Krampus, zählt im Kontrast dazu zu den bösen Gestalten. So die weit verbreitete Vorstellung.
Wir erweben sehr viele Vorstellungen, Werte und Bilder im Laufe unseres Lebens. Sie erlauben uns rasche Entscheidungen und beinflussen maßgeblich, wie wir durchs Leben gehen. Blitzschnell können wir zwischen Gut und Böse unterscheiden. Diese Fähigkeit sichert im Ernstfall unser Überleben. Im friedlichen Alltag allerdings kann sie uns aus der Balance bringen, wenn wir selbst etwas "Böses" an uns entdecken und so gar nicht damit können.
Vorstellungen entstehen
"Wenn du nicht brav bist, kommt der Krampus", sagte eine Mutter kürzlich zu ihrem bewegungsfreudigen 4-Jährigen im Bus. In Ihrer Vorstellung saß ein braver Junge wohl ruhig an seinem Platz und tanzte nicht zwischen den Sitzen rum. Sie hatte ihn überzeugt, denn ab da saß er einfach nur da und schaute aus dem Fenster.
Sehr wahrscheinlich hatten die beiden das Thema "Ausleben des Bewegungsdrangs in öffentlichen Verkehrsmitteln" schon mehrmals durch und Junior hat gelernt, was seine sich Mutter unter "brav" vorstellt. Es ist auch denkbar, dass es in seinem Umfeld mehrere Erwachsene gibt, die still sitzende Kinder "braver" finden, vielleicht lässt sich die Mutter auch von diesen Erwartungen lenken, weil ihr das wichtig ist. Und bestimmt wird es in den nächsten Jahren noch einige Menschen geben, die von Junior ruhiges Sitzen erwarten. Seine Vorstellung von dem, was "brav" ist, wird sich dadurch festigen (sofern er nicht auf Personen trifft, die ihn vom Gegenteil überzeugen oder jemand sein Bewegungstalent fördert).
Der Lange Arm von Gut und Böse
Nehmen wir mal an, die Erwachsenen im Umfeld von Junior tun sich alle eher leicht damit, still zu sitzen. Sie können den ausgeprägten Bewegungsdrang von Junior nur sehr schwer verstehen. Möglicherweise haben sie vergessen, dass Kinder sehr intuitiv sind und sie wissen dann vielleicht gar nicht, dass Junior in unserem Beispiel auf ganz natürlich Weise Stress abbaut, indem er sich bewegt. Sie werden ihn also weiter dazu ermuntern, besser still dazusitzen. Denn das ist ja etwas, das man in unserer Gesellschaft einfach können muss. In der Schule und am Arbeitsplatz haben Tänzchen zwischendurch nichts verloren, so die Vorstellung.
Irgendwann wird Junior, sagen wir aufgrund ungünstiger Umstände, seinem Bewegungsdrang nicht mehr nachkommen. Er wird aber auch keine Alternative entdecken, um gegen seinen Stress vorzugehen, denn es wird ihm gar nicht bewusst sein, dass eine Situation ihn stresst. Es hat ja nie jemand mit ihm erkundet, was der Grund für seinen Bewegungsdrang war. Stattdessen wird er als Erwachsener wahrscheinlich Kopfschmerzen haben und gereizt sein und immer wieder unerwartet aus der Haut fahren. Dann wird er sich furchtbar schämen, denn das macht man ja nicht und außerdem tut ihm die Kollegin leid, die er aus heiterem Himmel angebrüllt hat und sie nun Angst vor ihm hat, dem aggressiven Kerl. Aber er war ja schon als Kind schwierig...
Der schwarze und der weiße Wolf
In der Geschichte von den 2 Wölfen geht es darum, dass 2 Wölfe in unserem Herzen wohnen. Einer wird einer der schwarze und der andere der weiße Wolf genannt. Automatisch ordnen wir sie entsprechend ihrer Eigenschaften "gut" und "böse" zu.
Würden wir dem erwachsenen Junior die Geschichte von den 2 Wölfen erzählen, hätte er bestimmt eine Vorstellung davon, was sein weißer und was sein schwarzer Wolf tut. Und er würde vielleicht Schwierigkeiten damit haben, den Ausgang der Geschichte zu akzeptieren. Denn er hat schließlich gelernt, was "gut" und was "böse" ist. Seine Ausbrüche würde er als "böse" einordnen und dem schwarzen Wolf in seinem Herzen anlasten. Sollte er diesen dann nicht besser verhungern lassen?
Unseren Vorstellungen verdanken wir es, dass es uns in vielen Situationen sehr leicht fällt, blitzschnell über ein Verhalten zu urteilen. Dieses ist gut und jenes ist schlecht. Vorstellungen, Werte und Bilder arbeiten unbewusst vor sich hin und steuern unser Verhalten.
Dem erwachsenen Junior ist klar, dass es nachteilig und wenig akzeptabel ist, wenn er seine Kolleginnen anbrüllt. Womöglich hat er deswegen Schuldgefühle und wäre in solchen Situationen gern ein Anderer. Auf die Geschichte mit den 2 Wölfen übertragen: Er hätte den schwarzen Wolf am liebsten gar nicht und würde daher stets den weißen Wolf füttern. Das wäre natürlich lebensverkürzend für den schwarzen Wolf. Dabei könnte er im schwarzwölfischen Verhalten auch ein Signal dafür erkennen, dass SEINE Grenze überschritten wurde, nämlich die seiner Stresstoleranz. Und damit könnte er dann arbeiten. Das würde sein Wohlbefinden von Grund auf verbessern.
Und der Krampus?
Vorstellungen und Werte halten sich zwar oft hartnäckig, sind aber grundsätzlich durchaus veränderbar. Von sich verändernden Vorstellungen könnte sogar der Krampus ein Lied singen. Ursprünglich galt er als Beschützer in den dunklen, kalten Nächten. Das entsprach aber den Werten der Kirche im 13. Jahrhundert weniger und er wurde verboten, was wiederum den Vorstellungen der Alpenbevölkerung zuwiderlief. Die Figur überlebte das Verbot und trat hunderte Jahre später in veränderter Funktion, als des guten Nikolaus böser Begleiter wieder in Erscheinung. Die Vorstellung von diesem unschlagbaren Erzieherduo und der eindeutigen Trennung von Gut und Böse wird bis heute von manchen Eltern hochgehalten.
Diese Geschichte vom Krampus kann uns einladen, uns mit unseren eigenen Vorstellungen von Gut und Böse auseinanderzusetzen. Es ist ja niemand - wie die Figur des Krampus zeigt, einfach von sich aus gut oder böse, brav oder schlimm. Wie ein bestimmtes Verhalten bewertet wird, hängt von den Vorstellungen und Werten jener ab, die es beurteilen.
Vielleicht gelingt es uns ja, über die Auseinandersetzung mit unseren eigenen Werten und Vorstellungen ein wenig mehr von jener zwischenmenschlichen Wärme zu erzeugen, von der die Vorweihnachtszeit so gern singt.
Petra Ouschan ist psychologische Beraterin, Mailcoach und Supervisorin bei Zent. Durch Geschichten gibt sie ihren Klient*innen besonders im Mailcoaching gern Impulse.
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