Fräulein Fink und der verflixte Herbst

Seit Menschengedenken erzählen wir einander Geschichten. In ihnen liegt eine besondere Kraft. Sie können uns auf einer Ebene erreichen und berühren, wo unser Verstand nicht hinkommt und uns dort nähren und Kräfte wecken. In unserer Beratungspraxis nutzen wir diese Wirkung von Geschichten und Metaphern sehr gern und ab und zu findet auch eine kleine Geschichte fürs Wohlbefinden hier auf unseren Blog. 🧡

Fräulein Fink und der verflixte Herbst

eine kleine Wohlfühlgeschichte

Fräulen Fink fand den Herbst äußerst unbehaglich. Das hatte vor allem mit 2 unaufhaltsamen Ereignissen zu tun, die sie seit jeher fürchtete:
1. Die Schule begann (dieses Problem löste sich irgendwann von selbst).
2. Am farbenprächtigen herbstlichen Blättertreiben samt Tanz und Rauschen und Lichterspiel konnte sie sich nicht besonders erfreuen. Nicht, weil es ihr nicht gefiel. Im Gegenteil, es öffnete ihr Herz und sie liebte es. Aber sie wusste: Es würde unweigerlich in einem monatelang anhaltenden Trauerspiel aus knorrigen dunkelbraunen Baumskeletten vor grauem Hintergrund enden. Und das liebte sie nicht.

Schon gar nicht mit einem vor Entzücken geöffneten Herzen. Denn das tat ihr dann nämlich ein wenig weh beim Anblick der Bäume, die eben noch leuchteten und raschelten und vor Lebendigkeit sprühten, und die ein paar Tage später kahl und knorrig und schweigend da standen.
Vielleicht erinnerte es sie an die Endlichkeit des Lebens (mit der Endlichkeit des Lebens hatte sie sich nämlich nie so gern befasst) oder auch nicht.  Jedenfalls machte sie sicherheitshalber ihr Herz im Spätsommer zu, damit es ein paar Wochen darauf nicht so weh tat. Sie betrachtete das herbstliche Treiben dann eben mit dem Kopf. Dort, wo auch ihre Gedanken ein Zuhause hatten. Und weil zwei widersprüchliche Gedanken nebeneinander (Herbst ist schön und Herbst ist unschön) verwirrend sind, eilte ihr der Trübsinn zuhilfe und blieb bis zum ersten richtig üppigen Schneefall im Dezember, manchmal sicherheitshalber auch länger.

Der Trübsinn half Fräulen Fink dabei, dem herbstlichen Treiben großräumig auszuweichen. Sie vermieden gemeinsam unnötige Gehwege im Freien, lüfteten die Wohnung noch vor der Dämmerung und saßen nicht mehr am Fensterbänkchen in der Küche, von wo aus sie die alte Kastanie beobachten hätten können. Denn die war ohne Blätter fast schon furchteinflö´ßend.

Und eines strahlend schönen Tages, es war der 23. Oktober und der Trübsinn saß am Beifahrersitz, blieb auf dem Weg zu einem sehr wichtigen beruflichen Termin das Auto stehen und rührte sich nicht mehr. Das Handy lag derzweilen ganz gut auf der Kommode neben der Geldtasche, also mussten Fräulein Fink und der Trübsinn den Weg durch den Park nehmen, um den Termin nicht zu versäumen.

 

"Ich bin bei dir", sagte der Trübsinn aufmunternd.

Fräulein Fink zog sich die Kappe tief ins Gesicht und versuchte, sich gedanklich aus dem Hier und Jetzt woandershin zu katapultieren. Das konnte sie recht gut, da hatte sie Übung, sie brauchte nur an den wütenden Kashimoto zu denken, der Verspätungen nicht duldete, an das mistige Auto oder an ihre eigene Blödheit, Handy und Geldtasche auf der Kommode liegen zu lassen.

 

Der Trübsinn applaudierte.

Plötzlich fuhr ein Herbstwind durch den leuchtenden Wald und wirbelte einen fröhlichen Blätterreigen um Frau Fink, der sie aus den Gedanken riss und ins Hier und Jetzt zurückwarf.

 

"Lass mich machen", sagte der Trübsinn.

 

"Blöder Wind, staubt mir noch die Augen voll", brummte Fräulein Fink.

Der Trübsinn klopfte ihr anerkennend auf die Schulter.

 

Fräulein Fink wurde fast ein wenig übermütig vor so viel Lob und dachte sich in Rage.

"Nur wegen dir, du verlixter Herbst du!"

"Hallooooo!", sang der Herbst, und raschelte und leuchtete noch ein wenig mehr.

 

Fräulein Fink blieb der Mund offen stehen und wusste mit der ansteckenden Fröhlichkeit des Herbstes so gar nichts anzufangen. Der Trübsinn hatte schließlich sehr verlässlich dafür gesorgt, dass sie ihre Aufmerksamkeit lediglich auf den für sie unangenehmen Aspekt des Herbstes richtete. Etwas anderes wahrzunehmen war nicht Teil des Plans. Aber auf den Trübsinn war Verlass. Er gab ihr einen Schubs, vielleicht etwas zu kräftig.

 

"Ach, lass mich doch in Ruhe, ich hab anderes zu tun als mich mit dir abzugeben, du fieser Bäumekiller du", platzte es aus ihr heraus.

 

"Äh..." Für einen kurzen Moment war sogar der Herbst sprachlos. "Bäumekiller? Ich? Äh. Zugegeben, manchmal, bei ganz heftigem Wind, kann schon mal der eine oder andere ...aber...Bäumekiller...ich?"

 

"Jawohl! Das bist du!"Fräulein Fink kam in Fahrt. "Zuerst tust du auf nett. Das Obst, die Nüsse und so. Dann die ganzen Farben, das Geraschle, das Getänzle, die scheinbare Fröhlichkeit. Und wenn sich dann alle daran gewöhnt haben, an diese Lebendigkeit und Schönheit, reißt du den Bäumen alle Blätter runter und lässt nichts zurück als Trostlosigkeit und Öde. Für Monate!"

So. Jetzt war es raus. Der Trübsinn nahm Fräulein Fink an die Hand und sie versuchten, wieder an den wütenden Kashimoto zu denken. Und ans Auto. Und an ihre Blödheit. Nur raus hier aus diesem Park, weg vom Herbst und weg von den Gedanken an Vergänglichkeit, die in der Luft hingen.

Fräulein Fink stapfte ein paar wütende Schritte, die Mütze tief im Gesicht, bis sie über eine Wurzel stolperte und hinfiel. "Aua!" Das lenkte den Trübsinn für einen Moment ab. Fräulein Fink spürte nicht nur ihr rechtes Knie. Sie fühlte auch die kühle, feuchte Erde zwischen den trockenen Blättern. Es roch nussig und modrig. Plötzlich fiel ihr der Herbst ihrer Kindheit ein, als sie so gern durchs Laub schlurfte und in Laubhaufen sprang und Blätter in die Luft warf und mit ihnen um die Wette tanzte.

 

Der Trübsinn hatte sie wieder und sie wurde ganz wehmütig. "Alles geht vorbei", sagte sie, während sie sich an einen Baum gestützt aufrichtete. Der Trübsinn beglückwünschte sich selbst, nur für eine Sekunde, und in dieser fühlte Fräulein Fink die Rinde des Baumes unter ihrer Handfläche. Kühl war sie und vertraut und trotzdem irgendwie warm. Der Baum roch so gut. So gar nicht nach Tod und Vergänglichkeit und Trostlosigkeit.


Der Baum, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, knorrte ein wenig und flüsterte ihr etwas zu, das nur sie verstehen konnte und der Trübsinn nicht:

"Ja, du spürst das schon richtig, meine Gute. Nur dein Gedanke ist wohl auf Irrwege geraten und da helfe ich gern. Etwas dürfte dir entfallen sein, wahrscheinlich lag's am Trübsinn aber schwamm drüber. Jedenfalls: Ich bin das ganze Jahr über quietschlebendig. Auch im Herbst und selbstverständlich auch ohne Blätter. Aus dieser Lebendigkeit heraus bin ich ein Meister der Anpassung an die Gegebenheiten und verändere lediglich meine äußere Form. Ich bin das pulsierende Leben selbst. Auch, wenn du es nicht sehen kannst."

Das war eine Ansage. Fräulein Fink fühlte sich sonderbar. Leer irgendwie aber gar nicht so unangenehm. Sie sah sich nach dem Trübsinn um und fand ihn nicht mehr. Stattdessen wurde ihr Blick bei jedem ihrer langsamen Schritte klarer. Es war so, als würde sie Meter um Meter immer deutlicher erkennen, was da wirklich war, um sie herum und auch in ihr drinnen: Wunderprächtige Lebendigkeit, die einfach nur unterschiedliche Formen annahm.

🧡

Wer schreibt hier?

Petra Ouschan ist als Beraterin und Supervisorin sowohl in unserer Praxis Zent als auch im Mailcoaching tätig. Dort arbeitet sie besonders gern mit Geschichten und Metaphern, die sie ab und zu auch für oder mit ihren Klient*innen schreibt. Außerdem entwickelt sie Kurse und Workshops und textet allerlei Nützliches.  Hier erfährst du mehr über sie.

Hast du Fragen? Schreib Petra:

info@zent.at


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