Anfängergeist? Hüstel...als Erwachsene?

Anfängergeist

Auch sehr erfahrene Fußballfans könnten ihn haben, den Schlüssel zur Poesie des Augenblicks.

Dieser Moment, als uns die Grimasse der Schwester oder der Klang von Opas Babytalk noch völlig in den Bann zog... Der höchst vergnügte Anfang einer wundersamen Entwicklung war getan, und während Schwester und Opa das Essen vorbereiteten, experimentierten wir mit Gesichtsmuskulatur und Lautbildung - und übten uns darin, sprechen zu lernen.


🎧 Hier kannst du den Text anhören:


Grübeln, Baby?

Ist es vorstellbar, dass wir als Baby darüber nachdachten, was wir taten, als wir mit unserem Körper spielten und so lernten? Dass wir den Plan hatten: In soundso vielen Monaten werden wir das Wort Opa hervorgebracht haben und dazu üben wir 3 x täglich für jeweils 15 Minuten? Dass wir uns dafür heftig kritisierten, wenn sich die Lippen vorerst nicht zum vollkommenen „O“ formen ließen, obwohl es den anderen Wesen über unseren Köpfen scheinbar spielend gelang? - Wohl kaum. Sehr wahrscheinlich war es die Poesie des Augenblicks, die Lust am Lebendigsein, die uns in ihren Bann zog, während wir die Welt und uns selbst staunend beobachteten, erforschten und erkannten, was da um uns und in uns so ist.

Wie das mit dem Sprechen oder auch mit dem Krabbeln funktionierte, war wohl eher weniger ein Akt des denkenden Verstandes, sondern etwas Verspielteres, Leichteres. Der Verstand war in gewisser Weise sicher auch dabei, aber er hatte bestimmt keine bedeutendere Funktion als alles andere, was wir nutzten, um uns zu entwickeln, während wir ganz im Moment waren.

Be-GEIST-ert wie beim ersten Mal

Man möchte vielleicht fast ein wenig sehnsüchtig werden beim Anblick von Kindern oder Menschen, die den Moment noch so rein und unverfälscht erleben. Wenn wir Babys, Kinder oder auch Erwachsene beobachten, die sich ganz im Moment befinden, dann scheint es, als wäre das, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten, unglaublich interessant und spannend und neu. Sogar dann, wenn sie etwas schon viele Male erlebt haben. Das ist dann das, was wir unter Anfängergeist verstehen. Zum Beispiel, wenn eine erwachsene Person ein Fußballspiel verfolgt. Da laufen Männer oder Frauen mit Ball mal in diese und dann in die andere Richtung und die im Tor stehenden fangen ihn oder eben nicht und es gibt dazu auch Regeln, wie das alles abzulaufen hat. Eine weniger fußballbegeisterte Person mag dem zunächst vielleicht wenig Neues abgewinnen, aber vielleicht doch nach längerem Überlegen zugestehen: Gut, das Wetter ist nicht immer gleich und das Gras auch nicht und auch nicht die Schiedsrichter und die Stimmung ebenfalls nicht. Und wenn sie länger darüber nachdenkt, wird ihr vielleicht auch noch die körperliche und psychische Verfassung der Spielenden einfallen, die Strategien usw. und dann gibt es noch das Zuschauen selbst, das vor dem Fernseher sich eine andere Qualität besitzt als beim Public Viewing. Und die meisten Fußballfans werden wohl von dem besonderen Feeling schwärmen, das entsteht, wenn sie ein Spiel live im Stadion verfolgen. Die Lebendigkeit des Spiels und des eigenen Da-Seins scheint dort besonders intensiv spürbar.

Die Poesie des Augenblicks

Die Fähigkeit zu diesem wachen und konzentrierten Erleben des Moments, das so tief mit dem Erfahren der eigenen Lebendigkeit verbunden ist, haben wir uns also auch als Erwachsene bewahrt. Und das trotz der Probleme, der Grübeleien, der Verantwortung und allem, mit dem wir uns als Kinder nicht beschäftigen mussten. Es braucht dazu nicht mal ein besonderes Ereignis wie ein Fußballspiel, eine Party, ein Fallschirmsprung, ein Essen mit der Familie oder ein Konzertbesuch zu sein.

Die Poesie des Augenblicks liegt in sich selbst, in jedem einzelnen Moment. Sie ist als Möglichkeit darin angelegt. Wir können sie jederzeit erleben, wenn wir uns darauf einlassen. Wer es nicht (mehr) so gewohnt ist, ganz im Moment zu sein, wird es vielleicht nicht so einfach haben. Da sein mit allem, was da ist, und nur wohlwollend zu beobachten, als wäre es etwas ganz Neues,  (was jeder einzelne Augenblick tatsächlich auch ist – es gibt ja keine Wiederholung), braucht wahrscheinlich so einiges an Übung und möglicherweise auch die Erinnerung an den einen oder anderen Weg, der ganz in den Moment führt. Aber wie viele einzelne Momente hat wohl ein Tag? Und wie wäre es, nur einen einzigen von diesen vielen Momenten so zu erleben wie damals, als uns die Grimassen der Schwester und die Klänge von Opas Babytalk noch völlig in den Bann zogen? Möglicherweise finden wir es in diesem einen Moment, das Staunen, von dem Aristoteles sprach und eine Erkenntnis über die Welt und uns selbst, die viel tiefer geht, als unser Verstand es uns je ermöglichen würde. Das wäre vielleicht einen Versuch wert.

💛

Die Autorin Petra Ouschan ist psychologische Beraterin, Kursbegleiterin und Supervisorin bei Zent und unsere hauseigene Spezialistin für schriftliches Coaching.

 


Darf es ein bisschen mehr sein?

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